Debatte Veit Harlan


Debatte (Veit Harlan) 1945
Veit Harlan und seine Frau Kristina Söderbaum übersiedeln bei Kriegsende nach Hamburg. Sie wohnen zuerst in der Neuen Rabenstraße, dann Sierichstraße, dann Scheffelstraße. 

Debatte (Veit Harlan) 1946

Debatte (Veit Harlan) 1947
Veit Harlan übernimmt ohne seinen Namen zu nennen erste Regiearbeiten fürs Theater. Im Dezember versucht er mit Hilfe des befreundeten zweiten Hamburger Bürgermeisters seine Entnazifizierung durchzusetzen. Von dem Zentralausschuß für die Ausschaltung der Nationalsozialisten der Hamburger Spruchkammer wird er als unbelastet in die Gruppe V ( Mitläufer) eingestuft. Die Mitglieder des für Kultur zuständigen Fachausschusses 7 legen aus Protest ihr Amt nieder. Es kommt zum Streit, der sich in der Öffentlichkeit und in der Presse fortsetzt.

Debatte (Veit Harlan) 1948
Veit Harlan und Kristina Söderbaum erhalten bei einem Besuch der Hamburger Kammerspiele von der Intendantin Ida Ehre Hausverbot. Bei der Premiere des Films EHE IM SCHATTEN im Hamburger Waterloo-Theater wird das Paar unter den Gästen entdeckt und auf Betreiben von Gastgeber Walter Koppel und Kinobesitzer Heinz B.Heisig nach der Wochenschau des Kinos verwiesen. Auf der anschließenden Pressekonferenz im "Patzenhofer" protestieren Erich Lüth und Walter Koppel noch einmal ausdrücklich gegen das Erscheinen des Paares.
Die "Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes" VVN und die "Notgemeinschaft der durch die Nürnberger Gesetze Betroffenen" stellen bei der Staatsanwaltschaft Hamburg Strafantrag. Gegen Veit Harlan als Regisseur und Mitautor des antisemitischen Propagandafilms JUD SÜSS (UA: 5. September 1940) wird Anklage erhoben wegen "Verbrechens gegen die Menschlichkeit". Die strafrechtliche Grundlage für einen solchen Schritt ist durch das alliierte Kontrollratsgesetz Nr. 10 vom 20. Dezember 1945 gegeben, nach dessen II. Artikel auch die Beihilfe zur Verfolgung von Minderheiten aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen als ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit angesehen wird.

Debatte (Veit Harlan) 1949
Am 3. März beginnt der Prozeß im vollbesetzten Schwurgerichtssaal am Hamburger Landgericht. Als Zeugen sagen u.a. Gustaf Gründgens, Werner Krauss, Paul Henckels, Willy Forst und Wolfgang Liebeneiner zugunsten von Harlan aus. Am 23. April spricht das Schwurgericht unter Vorsitz von Landgerichtsrat Walter Tyrolf den Regisseur aus Mangel an Beweisen frei. Es sei nicht zu beweisen, daß aufgrund des Films einem Juden Leid geschehen sei. Tyrolf selbst war Mitglied der NSDAP und als Staatsanwalt des Sondergerichts Hamburg verantwortlich für zahlreiche Todesurteile. Unter begeisterten Beifallbekundungen wird Veit Harlan im Triumphzug auf den Schultern aus dem Saal getragen. Unmittelbar nach der Urteilsverkündung legt Oberstaatsanwalt Kramer Revision ein. 
Am 12. Dezember hebt der Oberste Gerichtshof der britischen Zone in Köln das Hamburger Urteil auf. Der vorsitzende Richter des Strafsenats argumentiert, daß sich die Herstellung des Filmes von vornherein gegen die Juden im allgemeinen gerichtet habe. Der Fall wird zur erneuten Verhandlung an das Schwurgericht Hamburg zurüchgewiesen. 

Debatte (Veit Harlan) 1950
Am 14. April, während des Revisionsverfahrens kommt es zu einem Eklat: Eine Zeugin, die jüdische Journalistin Karena Niehoff wird von Zuhörern bedrängt und mit antisemitischen Hetzrufen beschimpft. Diese Ausschreitungen beschäftigen die internationale Presse, ebenso bundespolitische Prominenz. Der hamburger Bürgermeister Max Brauer versucht, in einer Presseerklärung Frau Niehoff in die Nähe der Kommunisten zu rücken. Am 29. April wird Harlan erneut freigesprochen, da er sich in einer Art Befehlsnotstand befunden habe. Nur aus Furcht um Freiheit und Leben habe Harlan, der kein Antisemit gewesen sei, den Regieauftrag angenommen. Immerhin räumt der vorsitzende Richter Tyrolf ein, daß der Film JUD SÜß den Tatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit erfülle. Ein paar Monate später zieht die Staatsanwaltschaft ihren Revisionsantrag zurück, somit ist das Urteil rechtskräftig. 
Anläßlich der "Woche des deutschen Films" am 20. September nutzt der Hamburger Senatdirektor das Forum des Presseclubs, gegen den Freibrief Harlans und der anlaufenden Domnick-Filmproduktion zu protestieren und die Kinobesitzer zum Boykott des noch nicht fertiggestellten ersten Nachkriegsfilms UNStERBLICHE GELIEBTE aufzurufen. Die zuständige Domnick-Filmproduktion und der Herzog-Filmverleih sehen in diesen Äußerungen Lüths unlautere Geschäftsschädigung und erwirken am 18. November bei der 15. Zivilkammer des Hamburger Landgerichts eine einstweilige Verfügung. Streitwert: 50.000 DM. Der Leiter der staatlichen Pressestelle geht in die Berufung.
Im Dezember erleben die Proteste gegen Harlans Wiedereinstieg ins Filmgeschäft und Solidaritätskundgebungen für Erich Lüth einen weiteren Höhepunkt. Kreise der Gewerkschaft und der Hamburger Landesverband von Die Falken solidarisieren sich in offenen Briefen und Flugblätter mit Lüth und protestieren gegen die Aufführung des Films UNSTERBLICHE GELIEBTE des Regisseurs Veit Harlan. Martin Plat, Vorstandsmitglied des VVN und prominentes Mitglied der FDP, fordert Harlan auf, den Film nicht zur Aufführung zu bringen, da 400.000 Menschen in Hamburg nicht gewillt seien, die Vorführung widerspruchslos hinzunehmen.
Aufsehen erregt auch eine gemeinsame Erklärung gegen Harlan, unterschrieben von acht namhaften Hamburger Universitätsprofessoren. Diese Aktion wird von einigen Hamburger Tageszeitungen übernommen. Wie der Professor für klassische Philologie, Bruno Snell, deutlich macht, sei die Erklärung zum Streit um Harlan ohne deren Einverständnis veröffentlicht worden. Der bekannte Anglist Professor Emil Wolff beschwichtigte mit dem Hinweis, Senatsdirektor Lüth sei gebeten worden, eine Berichtigung über eine mißverständliche Fassung bekanntzugeben. Die Professoren meinten in bezug auf die Einkünfte nicht die von Veit Harlan, sondern die aus dem Film. Der Rektor der Hamburger Universität, Prof. Arthur Jores, selbst Unterzeichner, teilt mit, die Erklärung der Acht sei ohne deren Wissen und Wollen veröffentlicht worden. Jores und Harlan hätten sich inzwischen ausgesprochen. 

Debatte (Veit Harlan) 1951
Vor dem Zweiten Zivilsenat des Hamburger Oberlandesgerichts wird die zweite Runde im Kampf der Domnick-Filmproduktion gegen Erich Lüth, ausgetragen. Während der Verhandlung entbrennt ein heftiger Streit zwischen Lüth und Dr. Zippel, dem Anwalt der Produktionsfirma, um das Entnazifizierungsverfahren Harlans. In der Urteilsverkündung vom 27. Februar weist das Gericht die Berufung des Senatsdirektors gegen die Entscheidung des Hamburger Landgerichts vom 18. November 1950 ab. Die Kosten des Verfahrens, dessen Streitwert sich von 50.000 DM auf 110.000 DM erhöht, fallen Erich Lüth zur Last. Im Auftrag von Erich Lüth legt Rechtsanwalt Dr. Adolf Arndt, Abgeordneter des Bundestages, gegen die Berufungsentscheidung des Hamburgischen Oberlandesgerichtes "in Sachen Domnick-Herzog gegen Lüth" Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein. Erich Lüth beruft sich darin auf das Grundrecht der freien Meinungsäußerung.
In der Bürgerschaftssitzung vom 11. April kommt es zur heftigen Debatte um Erich Lüths Boykottaufruf gegen Veit Harlans Wiedereinstieg ins Filmgeschäft. Bürgermeister Max Brauer übernimmt die politische Verantwortung für den Leiter der Pressestelle und sichert ihm volle Rückendeckung zu. Vor einem Monat war bereits eine Sammlung zur Aufbringung der Prozeßkosten genehmigt worden, weil an der Klärung der in dem Rechtstreit schwebenden Fragen ein öffentliches Interesse bestehe. Immer wieder betonen in der Debatte Vertreter der SPD das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung. Schließlich könne man ebenso gut von einem Boykott sprechen, wenn die katholische Kirche öffentlich vor dem Besuch des Films DIE SÜNDERIN warne.
Weitere Vorwürfe gegen Veit Harlan sorgen für publizistische Unruhe. Regisseur Helmut Käutner und Schauspielerin Bettina Moissi teilen dem Leiter der Hamburger Staatlichen Pressestelle, Senatsdirektor Erich Lüth, mit, Harlan habe gegen Kriegsende zusammen mit Alfred Braun das Drehbuch zu einem eindeutig antisemitischen Film nach Shakespeares "Der Kaufmann von Venedig" geschrieben. Käutner erklärt, daß das Drehbuch "in seiner gewissenlosen antisemitischen Hetze, verbunden mit Geschichtsverfälschung und Mißbrauch des Genius Shakespeares den "Jud-Süß-Film" weit in den Schatten" stellte. Werner Krauss sollte den Shylock, Kristina Söderbaum die Portia und Bettina Moissi die Jessica spielen. Bettina Moissi verwies jedoch auf die Tatsache, daß sie als Tochter von Alexander Moissi für den Film verboten sei. Als Harlan sie trotzdem "durchsetzen" wollte, habe sie sich mit der Bitte um Hilfe an Käutner gewandt. Die Entwicklung des Krieges aber habe einen "gefährlichen Ausweg" nicht mehr notwendig gemacht. Veit Harlan bezeichnete dpa gegenüber den Inhalt der Briefe von Helmut Käutner und Bettina Moissi als eine "bewußte Lüge".
Unter der Überschrift "Unheiliger Übereifer" veröffentlicht das Hamburger Echo in seiner Ausgabe vom 19. Januar eine scharfe Kritik gegen das Filmecho. Die Hamburger Zeitung wirft dem Filmblatt eine sehr eindeutige Pro-Harlan-Stellungnahme und den Verlust von Neutralität und Objektivität vor. "Zur Ehre der Gesamtheit der deutschen Filmwirtschaft muß nämlich gesagt werden, daß keineswegs alle der ihr Zugehörigen sich vor Begeisterung über Harlans Come back in jene Eiertänze einreihen, die das "Film-Echo" um den Meister der filmisch-antisemitischen Hetzklaviatur zu inszenieren bemüht ist." In seiner Entgegnung "Politische Ressentiments - Wirtschaftliche Verantwortung" vom 27. Januar betont das Branchenblatt, daß "wir seit Wochen nicht aufgehört haben für die Aufführung des neuen Harlan-Films und gegen die beabsichtigten, organisierten Störungen des Starts dieses Films Stellung zu nehmen." Das Filmecho pocht auf Meinungsfreiheit und betont, das Interesse der deutschen Filmtheater zu vertreten und im Fall von UNSTERBLICHE GELIEBTE für einen ausgezeichneten Film zu werben.
Die Hamburger Premiere von UNSTERBLICHE GELIEBTE wird nach Ahrensburg verlegt. Dennoch kommt es zu Tumulten. Die Falken protestierten im Kinosaal, viermal mußte die Vorführung unterbrochen werden und konnte erst nach Eingreifen der Polizei zu Ende geführt werden. 
Einer Meldung der Neue Zeitung zufolge, hat die deutsche Bejöhr-Film gegen die Herzog-Film als Verleihfirma von UNSTERBLICHE GELIEBTE, eine einstweilige Verfügung vor dem Hamburger Landesgericht beantragt, weil in dem Harlan-Film Aufnahmen des Kulturfilms LIED DER WILDBAHN unberechtigt eingeschnitten worden sind. Mit der einstweiligen Verfügung soll dem Herzog-Filmverleih verboten werden, den Streifen in seiner jetzigen Fassung vorführen zu lassen.

Debatte (Veit Harlan) 1952
Am 7. Februar erwirkt Erich Lüth in Hamburg eine einstweilige Verfügung gegen die Äußerung Harlans, er habe 1944 ein Lobgedicht auf Adolf Hitler veröffentlicht. Harlan kontert drei Wochen später mit einer einstweiligen Verfügung gegen Lüth, mit der es diesem untersagt wird, den Filmregisseur als "Propagandisten des Massenmordes" zu bezeichnen.

Debatte (Veit Harlan) 1953
Debatte (Veit Harlan) 1954
Debatte (Veit Harlan) 1955
Debatte (Veit Harlan) 1956
Debatte (Veit Harlan) 1957
Debatte (Veit Harlan) 1958

Am 15. Januar erhält Lüth endlich juristisch Recht. Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts gibt der Beschwerde Erich Lüths statt, wodurch sein Boykottaufruf gegen die Aufführung des Films UNSTERBLICHE GELIEBTE nicht gegen das Zivilrecht und auch nicht gegen die guten Sitten verstößt. Das Urteil des Hamburger Oberlandesgerichts vom 22. November 1951, das der Klage der Domnick-Filmproduktion und des Herzog-Filmverleihs stattgegeben und den Boykottaufruf als "sittenwidrig" verboten hatte, wird somit aufgehoben.

Literatur
Wolfgang Kraushaar: Der Kampf gegen den "Jud Süß"-Regisseur Veit Harlan. 
In: Mittelweg 36. 4(1995),6; S.4-33
Dietrich Kuhlbrodt: "Jud Süß" und der Fall Harlan/Lüth. Zur Entnazifizierung des NS-Films. In: Peter Reichel (Hrsg.): Das Gedächtnis der Stadt. Hamburg im Umgang mit seiner nationalsozialistischen Vergangenheit. Hamburg 1997; S. 101-112
Frank Noack: Veit Harlan. "Des Teufels Regisseur". München 2000
Herbert Pardo; Siegfried Schiffner: Jud Süß - Historisches und juristisches Material zum Fall Veit Harlan. Hamburg 1949
Michael Töteberg: Filmstadt Hamburg. Hamburg 1990; S. 122-126
Siegfried Zielinski: Veit Harlan. Analysen und Materialien zur Auseinandersetzung mit einem Film-Regisseur des deutschen Faschismus. Frankfurt a.M. 1981

 
Redaktioneller Stand: 07. November 2001